I.
Auf einer Party sprechen zwei Gäste ausführlich über die Frage, ob Gurken und Zucchini zusammengepflanzt werden können. Sie kommen zu keinem Ergebnis, finden ein paar Möglichkeiten für ja, ein paar Möglichkeiten für nein. Ein dritter Mensch kann nicht verstehen, warum sie nicht einfach nach der richtigen Antwort googeln.
Die Freundin, die mir von dem Gespräch berichtet, sagt: „Eine Unterhaltung ist mehr als der Austausch von Informationen.“
Zufällig habe ich die Antwort auf ihre Frage am Tag vorher im Internet gesucht. Gurken und Zucchini sind keine guten Nachbarn, beide sind Starkzehrer. Die Freundin ist nicht zufrieden mit der Antwort, weil einige Fragen, die während der Unterhaltung auftauchten, unbeantwortet bleiben. Zum Beispiel die nach möglichen Beeinträchtigungen durch Kreuzbefruchtung.
II.
Blaise Pascal (1623-1642) ist bekannt für den Satz:
„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“
Ich stelle mir vor, er notierte ihn vor fast 400 Jahren, als er aus verstörenden Träumen erwachte und noch da saß im Hemd, einem Hemd nach der Mode der Zeit (mit Spitze und Trompetenärmeln) und an seinem Federkiel kaute, während sein Diener vergeblich versuchte, ihm die seidenen Strümpfe anzuziehen.
Ich stelle mir vor, Pascal hat im Traum ein Bild gesehen vom 21. Jahrhundert, in dem der Planet wimmelt von Menschen, die herumlaufen und rufen: Bin ich schön? Bin ich hipp? Bin ich geliked?, und dabei auf kleine Dinge starren, die sie in den Händen halten und sich tot fahren lassen darüber, sich um seltene Erden streiten darüber, Landschaften zerstören darüber, Kriege führen darüber.
Pascal hat gesehen, wie sehr wir uns mit dem ganzen Gedöns um neue Möglichkeiten und Gefahren durch unseren Kommunikationsstil beschäftigen, Pirouetten drehen um Schuld finden und Recht haben, uns in Ängsten erschöpfen vor einem Morgen, das mit höchster Wahrscheinlichkeit jedenfalls nicht morgen eintreten wird.
Pascals Satz ist die Antwort, die er im Traum gesehen hat, auf eine Frage, die vielleicht lautete: Was würde passieren, wenn sie alle ruhig in ihren Zimmern säßen, ohne jegliche Ablenkung, allein?
Heutzutage allerdings, das wird Pascal gar nicht gefallen, lässt sich sein Satz als Spruch auf Hoodies kaufen und die Menschen, die das tragen (ohne Spitze und Trompetenärmel) müssen natürlich rumlaufen und rufen: Bin ich schön? Bin ich hipp? Bin ich geliked?, während sie auf die kleinen Dinge starren, die sie in den Händen halten, Selfies anfertigen damit und nebenbei den größten Technologiekonzernen der Welt so viel Geld in die Kasse spülen, dass die sich neuerdings Demokratien kaufen.
III.
Was bedeutet es, ruhig in einem Zimmer zu sitzen? Wenn wir alle Gerätschaften abgeschaltet und die Absicht gefasst haben, nichts zu tun als zu sitzen und zu schweigen, beginnt eine Möglichkeit.
Ja, wir könnten das Meditation nennen. Ohne Ablenkung still mit sich zu sitzen ist mindestens der Anfang einer Chance auf eine Meditationspraxis.
Wenn ich allerdings das Wort Meditation hinschreibe, muss ich gleich wieder den vermuteten Sinn dekonstruieren, denn Meditation ist heute eine LifestyleIdee zur Selbstoptimierung mit App-Support, um im Arbeits- und Lebenswahnsinn nicht unterzugehen.
Gleichzeitig ist Meditation zentraler Bestandteil jahrtausendealter spiritueller Traditionen und die, die dem einen folgen, fühlen sich gleich eingeladen, das andere abzulehnen, während die, die App-supportet tatsächlich ihre autonomen Nervensysteme von der Dauerstresserregung ein bisschen abkoppeln können, dankbar für die technische Unterstützung sind.
Wenn etwas, das im Grunde sinnvoll, gut und nützlich ist, ein zweckgebundenes Tool im Lebensreparaturkoffer wird, das sich kapitalisieren lässt, ist die Spaltung einprogrammiert.
Auch das ist Teil des menschlichen Austauschs mittels Kommunikation. Ein und dasselbe Wort kann in sehr unterschiedlicher Weise verstanden und gelebt werden.
Ich halte es mit dem Satz eines japanischen Zen Meisters, den ich irgendwo aufschnappte, dass nämlich Meditation für gar nichts nützlich sei, und wiederhole einfach meine Frage:
Was bedeutet es, ohne Ablenkung ruhig in einem Zimmer zu sitzen?
IV.
Alan Jenkins hat in seinem Buch „Morning“ Tagebuch über das Experiment geführt, ein Jahr lang um vier Uhr morgens aufzustehen. An einem 7. Mai um 3.45 Uhr bricht er in den Schrebergarten auf. Es ist der Internationale Dawn Chorus Day. BBC Radio 4 sendet die ganze Nacht, der Dämmerung von Indien aus folgend, Vogelgesang. Wie viele andere macht Jenkins sich vor dem Morgengrauen auf den Weg, um dem Erwachen der Vögel zu lauschen.
Um 4.25 hört er die erste Amsel singen, um 4.50 gurrt zum ersten Mal eine Taube und gleichzeitig kann er zum ersten Mal seinen Text sehen. Die Silhouetten werden klarer. Um fünf Uhr krächzen die Krähen und eine Frau singt irgendwo in einem Feuchtgebiet, ihre Stimme klingt wie ein Vogellied aus dem Radio.
Ein paar Tage später hat Jenkins eine schlechte Nacht, steht spät auf und schreibt:
„Dem Morgen macht es nichts aus, dass ich später dran bin, er wartet wie ein Schulfreund oder ein Haustier, um herauszufinden, ob ich spielen möchte. Fast ist es eine Zustimmung. Zeit ist (natürlich) indifferent. Doch in der Weise, in der ich glaube, dass Land mich erkennt, Pflanzen für mich wachsen, eine Beziehung teilen, ist es dann nicht schwierig, das auf den Morgen auszudehnen.“
(Originaltext: The morning doesn’t mind I am later, waiting, like a school friend or pet to see if I want to play. It is almost an acceptance. Time is (of course) indifferent. But in the way that I believe land can recognise me, grow for me, share a relationship, then it is not hard do extend that to morning. (Übersetzung von mir)).
Beim ersten Retreat, das ich besuchte, führte uns der Lehrer in unterschiedliche Meditationsformen ein. Er begann mit dem stillen Sitzen, das er in kleinen, getimten Häppchen servierte. Am ersten Tag dauerte die längste Einheit acht Minuten. Ich dachte, ich überlebe das nicht und war voller Wut auf die Zumutung der sich schier endlos ausdehnenden Zeit. Ich wusste gar nicht, wo die ganze Wut herkam.
Ruhig in einem Zimmer zu sitzen bringt uns in einen Dialog mit uns selbst, den wir gewöhnlich nicht führen. Wir entdecken unbekannte Regionen, die treu auf uns warten, wie ein Schulfreund oder ein Haustier. Manchmal erschrecken wir vor dem, was wir finden. Als würden wir früher aufstehen und uns den Kopf im Dunkeln stoßen, bevor wir den ersten Ton der Amsel hören, das Gurren der Taube in der Dämmerung vernehmen, beginnen, die Silhouetten der inneren Landschaft deutlicher zu sehen.
V.
Der Begriff Kommunikation stammt vom lateinischen Verb „communicare“ ab, was „teilen“, „mitteilen“, „teilnehmen lassen“, „gemeinsam machen“, „vereinigen“ heißt.
Kommunikation in diesem Sinne meint Beziehung. Meint, einander teilhaben zu lassen an dem, was wir in uns tragen, meint Interaktion.
In Verbindung zu sein durch Kommunizieren umfasst das Denken, das Formulieren und das Zuhören. Und es umfasst einen Raum, in dem das, was gesagt wird, nebeneinander stehen kann, zumindest vorübergehend.
Am Ende ist etwas entstanden, was vorher nicht da war. Das „gemeinsam machen“ ergänzt vielleicht etwas; oder deutet es um; oder findet zum allerersten Mal einen Ausdruck für bislang Ungesagtes.
Auf alle Fälle ist eine Begegnung entstanden, möglicherweise auch eine Idee, ein Begreifen, ein Impuls, die sich fortspinnen, wenn die Begegnung lange vorbei ist.
Die beiden Nachbarinnen haben sich nicht nur über ein Sachthema ausgetauscht. Sie erzählten, was sie in ihren Gärten pflanzen, welches Vergnügen sie daraus ziehen, etwas wachsen zu sehen, wie es ihnen am Herzen liegt, den Pflanzen die bestmögliche Pflege angedeihen zu lassen. Sie kramten in ihren Köpfen nach schul-biologischen Erinnerungen. Sie lachten zusammen. Ihre Frage, ob nun Gurken und Zucchini zusammenpassen, blieb unbeantwortet, doch haben sie sich und die Welt, in der sie leben, etwas besser kennen gelernt.
Kommunikation in diesem verbindenden Sinne ist nicht linear, sie ist zirkulär, vielleicht auch spiralförmig, wenn sie tiefer und tiefer gräbt. In einer Abwandlung der Worte des Zen Meisters ist sie in einer auf Zielerreichung, Optimierung und Klärung eingeschworenen Welt für gar nichts nützlich.
VI.
Im 20. Jahrhundert gesellte sich zu den verbindenden Aspekten von Kommunikation die neue Begriffsbedeutung „Austausch von Informationen“.
Information ist eine Teilmenge von Wissen. Sachwissen weiterzugeben macht nur Sinn, wenn für die empfangende Person die weitergegebene Information bislang unbekannt war. Es besteht eine Asymmetrie in der Beziehung.
Im besten Fall werde ich bei dieser Art von Kommunikation über etwas in Kenntnis gesetzt, das ich vorher nicht wusste, ich werde belehrt und bin danach klüger als zuvor.
Im schlechtesten Fall bekomme ich einen Haufen unnützes Zeug erzählt (was X machte oder nicht machte, welche Celebrities gerade angesagt sind), Halbwahrheiten oder Lügen aufgetischt. Das gemeinsame Denken und Erforschen hat keinen Platz im Informationsaustausch.
Wo wir nicht gemeinsam erkunden können, entsteht Raum für Täuschungen. Auch deshalb, weil ich mir kein eigenes Bild davon machen kann, ob der Mensch, von dem die Information stammt, aufrichtig und zuverlässig ist.
Die sozialen Medien erlauben mir, unbegrenzt Wissen über mich zu verteilen. Wo ich Eis gegessen habe, welche Frisur ich jetzt trage. Diese Informationen, können wahr oder falsch sein. Sie sind kurzlebig (am nächsten Tag habe ich ein anderes Eis gegessen und meine Haarfarbe geändert) und unerheblich. Solche Kommunikation fördert nicht Verbindung und schafft nichts gemeinsames. Allenfalls schafft sie Konkurrenz um Aufmerksamkeit, und Neid, weil andere mehr Klickzahlen haben als ich.
Der Zen Lehrer Uchiyama, Kosho (1912-1998) schreibt in The Roots of Goodness:
“Jedenfalls, wenn du dich entschließt, zu leben, dann ist es entscheidend, nicht außerhalb deiner selbst nach einer Existenzberechtigung zu suchen.“
(Originaltext: However, if you decide to live, then it is vital not to look outside yourself for some raison d’être. (Übersetzung von mir)).
Er fährt fort, er habe allen seinen Schülern stets gesagt, sie sollten einfach für zehn Jahre still sitzen. Wer das tue, entdecke zwangsläufig seinen Selbstwert.
Allein in einem Zimmer zu sitzen löst die Abhängigkeit von äußerer Zustimmung, befreit von der Notwendigkeit, die eigene Existenz durch andere wieder und wieder validieren zu lassen.
Erst, wenn wir aufgehört haben, uns im Außen rückzuversichern, dass richtig ist, was wir tun, finden wir unser eigenes Lied. Unvermittelt taucht es auf, wie die Melodie der Sängerin in einem Feuchtgebiet.
Erst wenn wir unser eigenes Lied leben, treten wir in einen wirklichen Dialog mit der Welt.
Die britische Autorin und Psychoanalytikerin Marion Milner (1900-1998) entdeckte die Wahrheit dieser Tatsache ganz ohne Zen-Unterweisung durch eine mehrjährige Studie ihrer selbst, allein mit sich in einem Raum, und schrieb darüber zwei Bücher, die in den 1930iger Jahren zum ersten Mal erschienen („A Life of Own’s Own“ und „Experiment in Leisure“).
„Nur, wenn ich aktiv passiv war und mich damit zufriedengab, zu warten und zu beobachten, wusste ich, was ich wirklich wollte.“
(Originaltext: It was only when I was actively passive, and content to wait and watch, that I really knew what I wanted. (Übersetzung von mir)).
Und was hat diese Übung für einen Sinne?
Milners Antwort:
“Ich wollte mit mir selbst so sehr in Harmonie sein, dass ich an andere denken und ihre Erfahrungen teilen kann.“
(Originaltext: I want to be so harmonious in myself that I can think of others and share their experiences. Milner. (Übersetzung von mir)).
Allein mit sich in einem Zimmer zu sitzen vermittelt uns etwas, das wir in der Welt gerade sehr dringend braucht: Selbstkenntnis, unabhängigen Selbstwert, Ausgeglichenheit und, auf dieser Grundlage, die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, um Mitgefühl für sie zu empfinden.
Ich bin Dr. Eva Scheller, Founder #InnerEducationAcademy, Traumatherapeutin, Mentorin in Lern- und Veränderungsprozess, Autorin, Juristin, Aktivistin.
Alten Kontext dekonstruieren.
Inneres Wissen fördern.
Veränderungen wagen.
Neues finden.
Dieser Essay erschien erstmals in den NeuraumpalastNew 5.2025. Die NeuraumpalastNews sind der monatliche Newsletter der Inner Education Academy.

