Krieg und das Gesetz der Resonanz

Februar 15, 2025 in Essay

von Eva Scheller

Wir stehen in der Nähe meiner Gartenpforte und sprechen weiter, als es dunkel wird. Die Straßenlaternen im Dorf verlöschen um 21.30 Uhr. Meine Freundin hat mit anderen Unterstützer*innen bei klirrender Kälte einen Tag lang Wahlplakate im Landkreis aufgehängt. Die wurden mittlerweile fast alle heruntergerissen. An ihrer Stelle wuchs ein Schilderwald der Partei, die wir beide für jenseits des demokratischen Diskurses halten.

Doch auch diese wurden in der Zwischenzeit in kleinere Einzelteile zerlegt. Ich berichte davon und füge hinzu, früher hätte ich mich darüber gefreut. Heute kann ich mich nicht mehr freuen, egal, wer die Regeln verletzt.

Wahlplakate zu zerstören ist Sachbeschädigung. Sachbeschädigung ist ein Straftatbestand.

Ich als Juristin wünsche mir, es gäbe darüber hinaus ein Delikt wie „rechtswidriger Eingriff in den Ablauf freier Wahlen“, und weiß selber, das würde nichts ändern. Und fühle, als ich dem Gedanken folge, den dringenden Wunsch nach einem harten Arm des Gesetzes in mir aufsteigen.

Die Freundin erzählt, gemäß der Auskunft einer Erhebungsstelle, die solche Zwischenfälle statistisch auswertet, seien in diesem Jahr bislang ungewöhnlich viele Wahlplakate zerstört wurden, nicht nur in unserem Landkreis.

Wir sprechen über Zuhören als Kunst, die in den wenigsten Debatten, vielleicht überhaupt nicht mehr im gesellschaftspolitischen Kontext gepflegt wird?

Ein paar Tage später höre ich im Autoradio eine Sendung über die Frage, wo Rechtsextremismus beginnt, wie eine Haltung in einer „Grauzone“ zu einer demokratiefeindlichen Meinung führen und wie beides erkannt werden kann.

Der Meinungsforscher beobachtet eine Trendumkehr. Früher waren rechtsextreme Einstellungen häufiger unter den älteren Bürger*innen vertreten. Nun sind es junge Menschen, vor allem Männer, die sich zum Rechtsextremismus bekennen.

Die Zahlen über die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts lassen mich hart schlucken.

Rechthabenmüssen folgt der Logik des Krieges. Andere dafür hassen, dass sie anders sind und anders denken, folgt der Logik des Krieges. Der Ruf nach dem harten Arm des Gesetzes folgt der Logik des Krieges. Ja, auch Schreien folgt der Logik des Krieges.

Polarisierung folgt der Logik des Krieges.

Während eines weiteren Abendspaziergangs erzählt die Freundin, bei der Demonstration in der Kreisstadt habe der Schwarze Block einen exquisiten USB Lautsprecher zur musikalischen Beschallung und außerdem eine Seifenkanone mit sich geführt. Beides sei ausgiebig eingesetzt worden.

Wir lachen.

Gewalt gegen Sachen folgt der Logik des Krieges.

Gewalt gegen Menschen ist Krieg.

Und nein, ich habe keine Lösung. Ich weiß auch nicht, was wir alternativ tun könnten, wenn ein Staat seinen Nachbarstadt überfällt oder Geisel genommen werden.

Zur Logik des Krieges gehört ihre Unausweichlichkeit. Die Logik des Krieges ist linear-patriarchal. Sie kennt nur Entweder-oder, Schwarz-weiß, Wir gegen die.

Die unausweichliche Logik des Krieges ist eine Hypothese. Sie wird als bare Münze gehandelt, weil wir nie wirklich angefangen haben, die Logik des Krieges durch andere Denkmodelle in Frage zu stellen.

Die Logik des Krieges diskreditiert andere Denkmodelle, weil sie keine Lösung aufweisen können, die in die Logik des Krieges passt.

Ist Gleichgewicht des Schreckens eine Lösung?

Ist die Erweiterung der Waffenarsenale, bis am Ende die meisten tot sind und die, die übrig bleiben, gewinnen, eine Lösung?

Die Logik des Krieges kennt keine Lösung außer den Krieg.

Die Logik der Menschlichkeit hat keinen Platz in der Logik des Krieges.

Die Logik der Menschlichkeit ist unsere Alternative.

Und nein, sie ist (noch) keine Lösung. (Oder vielleicht doch?)

Und ja, die Pazifismus Forschung in Deutschland steckt die letzten zwanzig Jahre in ihren Babyschuhen fest.

Die Logik der Menschlichkeit hat keine Lobby, weil sie ans Eingemachte geht. Sie leuchtet aus, in welcher Weise unsere westlichen Systeme, die auf Kapitalakkumulierung gebaut sind, den Menschen aus ihrem Blickfeld verloren haben.

Wo das Wohlergehen von Menschen, egal welchen Alters und welcher Lebensumstände, wirtschaftlichen Interessen nachgeordnet ist, ist die Frage nach der Logik der Menschlichkeit eine brandgefährliche Frage.

Der Soziologe Steffen Mau prägte in seinem gemeinsam mit den Sozialforschern Thomas Lux und Linus Westheuser 2023 veröffentlichten Buch „Triggerpunkte“ den Begriff „Polarisierungsunternehmer.“

Jeder, der es schafft, ein gesellschaftliches Thema so zu politisieren, dass es zur Lagerbildung und zur affektiven Polarisierung beiträgt, ist ein Polarisierungsunternehmer. Wenn man es stärker generisch fassen will, geht es um die divisive, also spaltende Absicht.,

definiert Mau den Begriff in einem in der Zeitschrift Soziopolis veröffentlichten Interview vom 21.09.2022, „Die Welt ist bunter als meist angenommen“.

Polarisierungsunternehmer predigen die Logik des Krieges.

Eine Studie, die Mau, Lux und Aljoscha Jacobi 2022 über den Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und Einstellungen zu gesellschaftlichen Ungleichheiten veröffentlichten, zeigt deutlich, dass sich trotz vieler Polaritäten im öffentlichen Diskurs, in der Bevölkerung  „deutlich konturierte, polarisierte Einstellungskomplexe schlicht nicht feststellen lassen.“

Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass kein Riss durch die Mitte der Gesellschaft existiere, allerdings in Randbereichen eine zunehmende Radikalisierung stattfinde und diese Randbereiche sich verbreiterten. Das stehe im Gegensatz zu den USA, wo sich in den letzten 25-30 Jahren eine empirisch gut nachgewiesene Spaltung der Gesellschaft vollzogen habe (Interview, a.a.O.).

Mein Eindruck, die spaltende Härte der öffentlich geführten Debatten hätte sich in den vergangenen zwei, drei Jahren weiter verschärft hat, mag trügen. Mindestens hat sie nicht nachgelassen.

Die bereits beobachtete Verbreiterung der radikalisierten Ränder unserer Gesellschaft muss als Warnsignal gelesen werden, dass unsere noch stabile Konsensgesellschaft einen ähnlichen Korrosionsprozess durchlaufen könnte, wie dies für die USA diagnostiziert wurde.

Surekha Davies untersucht in ihrem Buch „Humans“ in welcher Weise im Lauf der Geschichte das Konzept des Monsters immer wieder dazu verwendet wurde, die „Otherness“ von Menschen, die nicht der gesellschaftliche Norm entsprechen, als monströs, mithin unmenschlich zu brandmarken.

Die Entmenschlichung aufgrund der Otherness wurde und wird zur Grundlage von Ausgrenzung und Vernichtung. Weil DIE keine Menschen wie wir sind, sind Werte wie Barmherzigkeit, Mitgefühl, Respekt, Rücksicht, Fürsorge entbehrlich.

Tatsächlich fängt Entmenschlichung dort an, wo wir „Die Anderen“ aufgrund von Kriterien, die wir als Norm bestimmen, von der Partizipation ausschließen.

Die Logik des Krieges predigt Entmenschlichung aufgrund von Nationalität, Rasse, geschlechtlicher Zuordnung, religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen und Praktiken.

Dieser generelle Ausschluss, auf den „Die Anderen“ keinerlei Einfluss haben, auch wenn sie sich noch so sehr um Assimilation bemühen, formt die Grundlage für die Logik des Krieges.

Davies weist darauf hin, dass „Monster“, also „Die Anderen“  diejenigen sind, die Kategorien aufbrechen. Sie sind Vorreiter*innen im Prozess der konstanten Veränderung von Gesellschaften.

Aus allen Bereichen einer Gesellschaft kamen und kommen sie. In der vergangenen und der gegenwärtigen Geschichte sind sie sind diejenigen, die sich nicht beugen, die sich nicht unterwerfen. Die, die Kooperation verweigern. Die, die gleiches Wahlrecht und gleiche Bezahlung verlangen, die, die ihren Platz im Bus nicht räumen, die, die sich nicht in ein binäres Feld von geschlechtlicher Zuschreibung einordnen lassen wollen.

Die, die aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit in einem System, das meint, sie hätten dort nichts zu suchen, anecken und herausfordern.

Diese Menschen zahlen einen hohen Preis für ihre Rolle, die sie sogar das Leben kosten kann.

Nachhaltige Veränderung ohne innere Befriedung ist unmöglich.

Um eine Logik der Menschlichkeit in unsere Haltung zu implementieren, müssen wir Formen der Radikalen Selbstverantwortung erlernen, die uns ermöglichen, gut für unser autonomes Nervensystem zu sorgen.

Solange uns das nicht gelingt, bleiben wir aufgrund der eigenen Triggerpunkt anfällig für die Logik des Krieges. Wir laufen Gefahr, gekapert zu werden.

Dann positionieren wir uns – denn natürlich müssen wir uns positionieren, natürlich müssen wir handeln – nicht aus einer Haltung des Friedens heraus, nicht im Sinne der Logik der Menschlichkeit, sondern aus einer Haltung heraus, die die Logik des Krieges umsetzt.

Veränderung beginnt in dem Moment, in dem wir aufhören, der Logik des Krieges in unserer Alltäglichkeit zu folgen.

Veränderung liegt in dem Feld jenseits von Dualität.

Ich sehe es als die große Aufgabe des 21. Jahrhunderts, Räume jenseits von Dualität zu erschließen. Genau deshalb stehen wir immer wieder aufs Neue vor der Herausforderung, uns durch die Begegnung mit „Otherness“ in die Nicht-Dualität hinein zu entwickeln.  

Je öfter es gelingt, gesellschaftliche Konzepte zuerst in Frage zu stellen und dann abzustreifen, je tiefer wir der eigenen Verletztheit und damit der eigenen Menschlichkeit begegnen, desto weniger können wir schreien, ausgrenzen, schlecht über andere sprechen, um jeden Preis gewinnen wollen, Konflikte anzetteln, Familien trennen.

„Inner Education“ – der Weg nach innen – bedeutet, immer mehr über die eigenen Verhaltensmuster und Vorurteile zu lernen. Zu lernen, wie wir uns selbst befrieden.

Der Chemienobelpreisträger 1977 Ilya Prigogine, der sich im Lauf seiner Karriere auch der Philosophie zuwandte und über Ordnung und Chaos forschte, prägte die Aussage:

Wenn ein System weit vom Gleichgewicht entfernt ist, haben kleine Inseln der Kohärenz in einem Meer von Chaos die Fähigkeit, das gesamte System in eine höhere Ordnung zu bringen.

Das wäre doch ein Ansatz, die Logik der Menschlichkeit ins eigene Leben zu integrieren: Jede Person, die die Möglichkeit dazu hat, sorgt dafür, eine kleine Insel der Kohärenz in einem Meer von Chaos zu sein.

Wir wissen aufgrund des Gesetzes der Resonanz: Angst steckt an, Gleichmut steckt an, Liebe steckt an. Deshalb, in der Perspektive zukünftiger Veränderungsmöglichkeiten: Warum erhöhen wir nicht die Etats der Bildungseinrichtungen, damit jede Person ganz individuell und maßgeschneidert die Grundlagen dafür erlernen kann, eine Insel der Kohärenz zu werden, ums schließlich das „gesamte System in eine höhere Ordnung zu bringen“?

Ich bin Dr. Eva Scheller, Founder #InnerEducationAcademy, Traumatherapeutin, Mentorin in Lern- und Veränderungsprozess, Autorin, Juristin, Aktivistin.

Alten Kontext dekonstruieren.
Inneres Wissen fördern.
Veränderungen wagen.
Neues finden.

Dieser Essay erschien erstmals in den NeuraumpalastNew 2.2025 und dem Titel „Die Logik der Menschlichkeit“. Die NeuraumpalastNews sind der monatliche Newsletter der Inner Education Academy.

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